Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Zwei skurrile, teils surreale Geschichten

Die beiden Filme, die uns diese Woche von den Neustarts im Vorfeld am Interessantesten schienen, heißen “Marie und die Schiffbrüchigen” und “Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes”. Der eine Streifen stammt aus Frankreich, der andere aus Deutschland. Beide beginnen die Handlung in ihrer jeweiligen Landeshauptstadt, führen aber sämtliche ihrer Protagonisten jeweils recht rasch, in ganz andere Gefilde und enden einerseits in der Überwindung verpasster Chancen und andererseits in einer kleinen Arbeiterrevolution.

Séastien Betbeder kennen manche Kinofreunde vielleicht noch von dem Achtungserfolg “2 Herbste, 3 Winter”: In “Marie und die Schiffbrüchigen” nun baut er seine Geschichte rund um eine Karaoke-Bar, ein gefundenes Portemonnaie, eine WG mit einem Schlafwandler und einem in Liebesdingen bisher mehr als unglücklich agierenden Kerl namens Siméon sowie einem Gelegenheitsmodell. Mittendrin in einem letztlich durchweg liebenswert agierenden Ensemble auch: Fußballerlegende Eric Cantona und in ihrer leider letzten Rolle Emmanuelle Riva – sie verstarb im Januar diesen Jahres.

Siméon (Pierre Rochefort) ist der Kerl, der besagte Geldbörse findet, die titelgebende Marie (Vimala Pons), die Frau – die vielen innerhalb der Geschichte deswegen vertraut vorkommt, weil sie in einem Werbespot für irgendein Parfum sehr intim Küsse tauschte -, die Person, der sie gehört. Ihr das Fundstück zurückzugeben, scheint zunächst nicht ganz leicht zu werden: denn unter der Nummer, die ihr laut Telefonbuch zuzuordnen ist, meldet sich der von Cantona stets latent grimmig verkörperte Antoine – ein Schriftsteller, der auch schon über Elektrosensibilität einen Roman verfasste – , der sie ihm gegenüber als tendenziell sehr gefährliche Frau darstellt. Der Zuschauer ahnt zu Recht, dass da ein gerade Verlassener warnt.

Apropos Beziehungsende: Siméon seinerseits hat aus einer früheren Mann/Frau-Begegnung ein Kind. Allein schon die Szenen zwischen ihm und seiner kleinen Tochter sind derart beiläufig verschroben inszeniert, dass man bedauert, dass das Mädchen nicht zu den zentralen Figuren zählt, die über kurz oder lang auf dem bretonischen Eiland Ile de Groix landen, wo es widerum neben den da bereits eingeführten Charakteren (u.a. Siméons an düster-rhythmischen Klängen feilenden Mitbewohner Oscar, dargestellt von Damien Chapelle) insbesondere mit dem ausgeflippten alten Popstar Cosmo (André Wilms) weitere kuriose Situationen zu erleben gibt.

Wie Sie liebe Leser vielleicht bereits bemerkt haben, winden wir uns bei dieser Besprechung dezidiert wirklich Greifbares über den Handlungsablauf auch nur anzudeuten. Denn das würde wahrscheinlich verhindern, dass sie sich voll und ganz auf die auch mit Rückblenden, in denen das bisherige Leben der Hauptfiguren in rasanten Bilderfolgen umrissen wird, garnierte Erzählweise einlassen. Was schade wäre, denn dank dieser besonderen Handschrift wird aus einer nominell eher banalen Geschichte über eine eigentlich klassische Dreiecksbeziehung einer der charmantesten französischen Filmexporte der letzten drei-vier Jahre.

Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes

Oklahoma spielte schon mal bei Kafka eine große Rolle. Und zeitweise fühlt man sich im Film des Nürnberger Julian Radlmaier – wo es nun als Name für eine Apfelplantage dient – ähnlich herausgefordert, wie in einem von dessen Romanen. Wobei es nominell gar nicht sonderlich wunderlich zugeht: ein brotloser und auch in Beziehungsfragen nicht wirklich erfolgreicher Regisseur (der Einfachheit halber vom Filmemacher selbst verkörpert) auf Hartz-4 kriegt von seinem “Sozial”-Amts-Sachbearbeiter einen Job als Erntehelfer auf’s Auge gedrückt – Freunden, Bekannten und Kollegen erzählt er indes, dass er zu einer Recherche in das Arbeitermilieu herabsteigen will. Was wiederum eine von ihm aktuell umworbene Frau offenbar ein wenig beeindruckt. In jedem Fall heftet sie sich an seine Fersen und malocht vor Ort auch richtig mit.

Zwei Männer, denen die Beiden sodann begenen werden, arbeiteten zuvor als Museumswärter. Und ein weiterer Kerl auf der Plantage gibt innerhalb der Arbeiterschaft den Ton an, stammt aus dem Kaukasus und ist letztlich mit verantwortlich, dass in einigen Köpfen revolutionäre Pläne reifen. Was in Anbetracht der gezielten Ausbeutung der hier alle unterliegen – die Besitzerin von Oklahoma beherrcht das Zuckerbrot-und-Peitsche-Spiel auf besonders perfide Art und Weise und bietet dann den denen, die die Norm übertreffen bestenfalls einen 20-€-Amazon-Gutschein und denen die darunter liegen, die Möglichkeit ohne jeglichen Salär nachts nachzupflücken. Ach ja – irgendwann tritt auch noch ein schrulliger, extrem gutherziger und vor allem schweigssamer Mönch auf den Plan.

Der Film des 33-jährigen DFFB-Absolventen erzählt nebenher sogar mal kurz vom Flaschensammeln, arbeitet mit vergleichsweise vielen Laiendarstellern, aber auch mit Gesichtern, die man bereits aus seinem “proletarischen Wintermärchen” kennt (wenn man denn diese herrlich verschrobene Geschichte um eine Putzkolonne aus Georgien gesehen hat) und hat eine kleine Schwäche: er will zu betont künstlerisch sein, manche Dialoge gehen nicht mal mehr als zu reißbrettartig durch. Und die Geschichte mit dem titelgebenden Hund, in den sich der Protagonist wann und wie auch immer verwandeln wird, ist weder originär noch ausreichend abgespaced eingebaut, und letztlich auch überhaupt nicht relevant. Schön hingegen, dass es eine Kinoproduktion gegen Ende wagt, ein “Q&A”, das bei offiziellen Filmpremieren beliebte Zuschauer-fragen-der-Regisseur-antwortet-Spielchen zu persiflierren und dabei die eigenen Filmmitwirkenden aus dem Film-im-Film-Publikum heraus mit der ersteren Rolle zu betrauen.

Trotz mancher Längen und eben selbst für einen Kunstfilm einem deutlich zuviel an doppelbödoger Gestelztheit: betrachtet als Essayfilm mit komödiantischen Elementen ist es ein sehr abwechslungsreicher, absolut sehenswerter Streifen, der ein paar bittere Wahrheiten, formal relativ gelassen ausspricht. Gerade deswegen könnte er auch bei bisher noch nicht so sehr mit prekären Lebenssituationen vertrauten Betrachtern nachhallen.



Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *